Jeder Mensch beherbergt ein Sammelsurium an emsigen Helferlein: Ob im Mund, im Nasen- und Rachenraum, auf der Haut, im Magen oder im Darm, überall dort gibt es „Zuständigkeitsmikroben“ mit unterschiedlichen Jobs.
Unsere Darmfraktion hat sich unter Sauerstoffabschluss ein eigenes Staatenreich geschaffen, um hier vielen nützlichen Tätigkeiten nachzugehen. Häufig ist in diesem Zusammenhang von Kommensalismus die Rede, bei dem die Beziehung Wirtsorganismus/Kommensalen für die Kommensalen (von lat. commensales „Tischgenossen“) positiv ist, für den Wirtsorganismus dagegen neutral. In der Tat liegt hier aber eine dauerhafte Win-Win-Situation vor, denn beide Seiten profitieren aus dieser Wechselbeziehung. Dann wird von Mutualismus oder auch mutualistischer Symbiose gesprochen. Speziell für den Darmtrakt ist jedoch der Übergang von Kommensalismus zu Mutualismus im wahrsten Sinne des Wortes fließend, einigen wir uns also hier auf den Terminus „teilweiser Mutualismus“.
Wie aber lassen sich diese Sauerstoffverweigerer auf den Film rücken? Bereisen sie doch in den einsamen Untiefen einer Petrischale schnell das Jenseits. Abhilfe liefert hier die Untersuchung der Erbinformation, also ihrer DNS und RNS. Am Ende solcher Bestandsaufnahmen springt für jeden Organismus eine eigene Abfolge aus speziellen Erbsubstanzbausteinen, die sogenannten Basensequenzen, heraus. Auf Basis dessen lassen sich Folgeforschungen betreiben, die sich auf eine solche solide Datengrundlage stützen. Geschehen ist dies beim Menschen seit etwa 10 Jahren, als dessen Erbgut im Rahmen des Humangenomprojekts bestimmt wurde.
Das Zeitalter der „Omik-Forschung“
Jenseits des Humangenomprojekts, das als Ziel hatte, das gesamte menschliche Erbgut in Form von Sequenzinformation zu ermitteln und aus den daraus identifizierten Genen die genauen Funktionen dieser Gene im menschlichen Körper zu verstehen, sind in den letzten Jahren vermehrt weitere „Omik-Projekte“ in den Vordergrund gerückt. Diese Projekte mit der Endung -omik beschäftigen sich mit Gesamtanalysen ähnlicher Einzelelemente: so befasst sich zum Beispiel die Metabolomik mit der am Stoffwechsel beteiligten Substanzen und ihren Interaktionen, ein anderes Fachgebiet, die Pharmakogenomik, dient dazu, neue Angriffspunkte für Medikamente zu finden.
Fortschritte in Sequenzierungstechniken und bioinformatische Methodiken auf immer leistungsfähigeren Computern ermöglichen nunmehr weitaus größere Forschungsvorhaben: Eines davon, die Metagenomik, befasst sich mit der Volkszählung und der erblichen Katalogisierung unserer vielfältigen Gemeinschaft von Mikroorganismen, des Mikrobioms, die den menschlichen Körper bewohnen. Die Zahl der bakteriellen Teilmutualisten liegt – auf 1 bis 2 Kilogramm verteilt – mit 100 Billionen (eine Zahl mit 14 Nullen) um den Faktor 10 höher als die Anzahl aller menschlichen Zellen! Die größte Besiedlung findet hierbei im Darm statt – der auf 1.000 Bakterienarten mit etwa 3,3 Millionen bakteriellen Genen kommt – etwa 150 Mal mehr als die Zahl menschlicher Gene.
Intestinale Dreierbande
Die Bestimmung der Mikrobenvölkchen ist schwierig, denn die meisten Darmbakterien wachsen nur unter den speziellen Bedingungen im Darm. Bis vor zwei Jahren war es weitestgehend unklar, ob sich innerhalb dieser Bakterienpopulation verwandtschaftliche Abgrenzungen dieser Mikrobenarten feststellen lassen können – bekannt war lediglich ein für jeden Mensch grundsätzlich eigenes Repertoire an Bakterien mit komplexer Artenvielfalt. Dieser Frage gingen wissenschaftliche Teams nach und sie kamen anhand der Auswertung von Stuhlproben hunderter Probanden aus allen Herren Länder zu dem vorläufigen Schluss, dass jeder Mensch einer von drei sehr unterschiedlichen Bakteriengemeinschaften, sogenannte Enterotypen (von griech. enteron „Darm“), zugehört. Beim Typ 1 finden sich hauptsächlich kohlenhydratspaltende Mikroben der Gattung Bacteroides, bei Typ 2 sind Angehörige der Gattung Prevotella, die an der Verstoffwechslung von Proteinen beteiligt ist, am meisten vertreten und bei Typ 3, dem häufigsten Typ, dominiert die Gattung Ruminococcus, die an der Spaltung von Zucker und den schleimabsondernden Mucin-Proteinen mitwirkt.
Überraschenderweise erlauben die Enterotypen keine Rückschlüsse auf die Herkunft der Versuchspersonen, auch nicht auf Alter, Geschlecht oder das Gewicht. Warum ein Mensch einem bestimmten Typ angehört und ob er seinen Enterotyp im Verlauf seines Lebens ändern kann, ist bislang noch unklar. In Analogie dazu werden die Enterotypen auch schon mit Blutgruppen verglichen.
Allerdings wissen wir, dass das bakterielle Erbmaterial wichtige Hinweise auf menschliche Eigenschaften liefert und sich wohl auch bei Krankheitsdiagnostik und zur Prognose von Krankheitsverläufen einsetzen lässt. So gehen chronisch-entzündliche Darmkrankheiten, aber auch Fettleibigkeit mit veränderter Darmflora einher. Die Ursache könnte hierbei mit Hilfe der Enterotypen ermittelt werden, die sich vor allem darin unterscheiden, wie effektiv sie Energie aus der Nahrung gewinnen und welche Vitamine sie in welchen Mengen produzieren. Enterotyp 1 mit dem nützlichen Vertreter Bacteroides thetaiotaomicron scheint für die Energiegewinnung aus Kohlenhydraten enzymatisch besonders effizient zu sein. Bei gleicher Ernährung werden dem Körper bei diesem Typ also vermutlich mehr verwertbare Nahrungsbestandteile bereitgestellt als bei den anderen – eine mögliche Ursache für Übergewicht. Abhilfe könnte entsprechend eine kohlenhydratreduzierte Ernährung bringen. Um solche möglichen Korrelationen zu stützen, bedarf es jedoch noch mehrerer Metagenomanalysen mit einer entsprechend großen Probenzahl.
Mannigfaltige Typenvielfalt
Jeder Enterotyp stellt auf eigene Weise die Energieversorgung sicher, und ist optimal an den jeweiligen Wirtsorganismus angepasst. Unsere mikrobiellen Mitbewohner arbeiten mitunter auf verschiedenen Ebenen mit uns zusammen und haben damit Einfluss auf die gesundheitliche Verfassung. Je mehr über die Auswirkungen des menschlichen Mikrobioms bekannt werden, desto näher rückt die Möglichkeit zur Verbesserung der individuellen medizinischen Versorgung und zum Beitragen einer individuellen Ernährungsempfehlung oder gar Ernährungsumstellung, die sich je nach Darmtyp richtet.
Wie so häufig in der medizinischen Forschung darf aber nicht von Resultaten der Grundlagenforschung auf eine unmittelbare anwendungsspezifische Wirksamkeit geschlossen werden! Die Erkenntnisse zum Mikrobiom des Darms könnten jedoch Anregungen für zahlreiche klinische Studien liefern, die sich nicht nur mit der Einflussnahme der Darmflora auf metabolische Faktoren beschäftigen, sondern auch interagierende Aspekte hinsichtlich des Nervensystems, immunologischer Faktoren sowie ihre Beeinflussung auf das Verhalten in Betracht ziehen.
Sicher werden wir demnächst mehr erfahren, welche Kreise das Netzwerk unserer kleinen Darmbewohner noch ziehen wird.
Petri Heil!